Schon erstaunlich, welche Reaktionen der Besuch von Papst Franziskus auf der Flüchtlingsinsel Lampedusa provoziert. Die Leser der »liberal-bürgerlichen« FAZ verlieren ihre Contenance und wittern die sozialistische Weltverschwörung im Anmarsch: »Der Weg der Kirche ist nun vorgezeichnet, sie wird Chavez nun links überholen. [Die Linken] feuen sich und feiern ein weiteres Mitglied im sozialistischen Glauben.«, so FAZ-Leser Eddie Matto. Auch Wolfgang Nottebaum ist besorgt und fühlt sich in seinen getreu von politisch konservativer Seite übernommenen Positionen zur Flüchtlingspolitik erschüttert: »Eine demonstrative Zurschaustellung von ›Betroffenheit‹, Ruege sogar der Europaer, warum sie nicht noch mehr aufnehmen, ist einfach laecherlich, sogar gefaehrlich, weil sie wie eine Einladung wirkt.…« Nachdem »Notti« sich aufgrund der jüngsten Wendungen in Sachen Asyl auf die CSU nicht mehr so recht verlassen kann, enttäuscht ihn jetzt also auch noch der Papst. Wie tragisch. Gut, dass Max Buettgen die Dinge wieder gerade rückt: »dieser symbolische Akt ist lächerlich. Schlimmer noch, er vermittelt sogar noch mehr Attraktivität für kommende Flüchtlingsgenerationen. Die meisten dieser Flüchtlinge stellt für EU nur eine gesellschaftliche und Finanzielle Belastung dar. Klar gesagt: Man will sie nicht.« Eben.
Noch eindeutiger sehen die Leser des SPIEGEL den Papstbesuch. ariovist1966 plädiert allen Ernstes dafür, die Flüchtlinge kurzerhand umzubringen: »Die meisten von den Ertrunkenen sind sicher eh Wirtschaftsflüchtlinge gewesen. Als doppelt illegal Handelnde: Grenzverletzer und Betrüger, sofern sie einen Asylantrag stellen. [Am besten] würde man die Durchgekommenen allesamt zurück nach Afrika schicken – oder legal an der Grenze erschießen. Jedenfalls: Gott schenke uns ein stürmische Mittelmeer.« Der Kommentar wurde inzwischen offenbar von der SPIEGEL-Redaktion entfernt, aber etliche weitere Meinungsäußerungen sind nicht viel besser.
Ich dachte, wir leben in einem aufgeklärten, freiheitlichen, rechtsstaatlichen und toleranten Land. Wenigstens ein bisschen. Sollte ich mich getäuscht haben? Auf jeden Fall freue ich mich sehr, dass ein Papst provoziert, weil er »zu links« ist.
Nachtrag: Auch die Kommentatoren in einem sich katholisch dünkenden Forum gehen mit Papst Franziskus hart ins Gericht und befinden sich in merkwürdiger Übereinstimmung mit den Kritikern in den Foren des SPIEGEL oder der FAZ. chriseeb74 fragt sich: »Warum schlägt der Papst nicht konkrete Maßnahmen vor, wie man mit dem Flüchtlingsproblem umgehen soll?? […] Ich bin da eher pragmatisch und sage: Außer Gebet und finanzielles Opfer mehr kann ich persönlich nicht machen. Warum versucht der Papst nicht über diplomatische Kanäle eine Lösung dieser Problematik herbeizuführen?« Und er kommt zu dem Schluss: »Dieser medienwirksame Besuch wird m.E. nicht allzuviel bringen. Leider! P.S. Bereits jetzt lese ich in vielen Foren hämische Kommentare nach dem Motto: Soll der Papst doch die gewaschenen Gelder der Vatikanbank nutzen…tja, ein Fünkchen Wahrheit steckt da sicherlich drin. Leider!« Da betreiben die Ultrakonservativen das Geschäft der von ihnen perhorreszierten »Kirchenkritiker« gleich selbst. Ester und einige andere wissen Abhilfe und raten dazu, sich lieber zunächst um die eigenen Angelegenheiten zu kümmern, das sei sogar vom Evangelium so nahegelegt. Und letztlich seien die »Ausländer« auch selbst mit schuld: »Ausländische Eltern beschweren sich regelmäßig dass die lieben Kleinen im Kindergarten soviele gleichsprachige Ansprechpartner haben, dass die berühmte Deutschförderung im Kindergarten genau nicht stattfindet. Es gibt solche Viertel in jeder größeren Stadt und selbst auf dem Land, trifft man genug offensichtlich nicht Deutsche. Dazu ist es ein offenes Geheimnis, das all das nicht unproblematisch abläuft.« Unverstellt besteht darauf: »Aber alles muss auch seine Ordnung haben.« Seiner Meinung nach sind die Flüchtlinge nicht nur an ihrer fehlenden Integration schuld, sondern auch an ihrem Tod: »Und nicht wenige Todesfälle auf diesen Schlepperbooten gehen auf Kosten von Rivalitäten unter den Flüchtlingen selbst. Dies schreibe ich ganz ohne Zynismus, aber dies ist leider auch eine Tatsache.« Und er weiß auch die Ursache zu benennen, warum es den hilfesuchenden Menschen so schlecht geht: »Flüchtling zu sein heißt noch längst nicht, gottgefällig zu leben. Nicht alle Flüchtlinge folgen dem Beispiel des Heiligen Joseph, der aus Gottesfurcht und Glauben heraus Maria und das Jesuskind nach Ägypten brachte. Und die Bemühungen der Menschen Europas kleinzureden finde ich ungerecht. Außerdem kann man jenen Menschen (auch Christen), denen Nächstenliebe wichtig ist, nicht vorwerfen, dass es auch Gegner der Mitmenschlichkeit gibt.«
Ich stelle fest: selbstgefällige Pseudo-Liberale und halbgebildete Möchtegern-Intellektuelle sind dieselben Idioten wie ultrakatholische Fundis. Schön, dass hier die richtigen zueinander gefunden haben.