Num 21, 4–9, Dienstag der fünften Woche der Fastenzeit
I
Indiana Jones, der verrückte Archäologie-Professor ist ein typischer Held von Kinder- und Jugendträumen. Die Abenteuer, die er erlebt, stehen dafür, dass selbst in einer modernen, technisch geprägten Welt das Unmögliche und Fantastische wahr werden kann. Indiana Jones macht sich auf die Suche nach dem Heiligen Gral und geheimnisvollen indischen Kultgegenständen; selbst die Bundeslade findet er und rettet sie – eine Wunderwaffe – vor dem Zugriff der Nazis.
»Indy« lebt in einer Welt, die ziemlich der unseren entspricht, noch nicht ganz so supermodern, aber doch schon mit Autos, Flugzeugen und Sprengstoffen ausgestattet. Er ist ein findiges Kerlchen, der nicht nur die Vergangenheit kennt, sondern sich auch der modernen technischen Hilfsmittel bedienen und mit ihnen allerhand Tricks anstellen kann. Aber er öffnet auch die Tür zu einer anderen, verborgenen Dimension der Wirklichkeit, wo geheimnisvolle magische Gegenstände seit Jahrtausenden schlummern, wo Alltägliches sich plötzlich verwandelt und für den Sieg des Guten über das Böse genutzt werden kann.
Vielleicht dürfen wir uns den Mose, der viele Jahrtausende vor Indiana Jones die Bundeslade mit eigener Hand berühren konnte, ganz ähnlich vorstellen. Auch Mose war ein Held, ein kühner Draufgänger, der vor den Pharao hintrat und ihn herausforderte. Einer der sein Volk durch unvorstellbare Gefahren führte, vor fiesen Feinden rettete und das alles auch nur leisten konnte, weil er irgendwie zwischen den Welten stand – handfest dem Irdischen zugewandt und doch offen für das Geheimnis hinter der oberflächlich erkennbaren Wirklichkeit. Und wie »Indy« hatte auch Mose, wenn es darauf ankam, immer einen Trick auf Lager. Davon berichtet die Bibel im Buch Numeri: Als die Israeliten von Giftschlangen angegriffen wurden, verschaffte Mose ihnen Rettung durch einen magischen Gegenstand, eine Kupferschlange, gleichsam als Abwehrzauber, der es ermöglichte, sogar Gift unbeschadet zu überstehen.
Anders als Indiana Jones aber ist Mose einer, der nicht nur Zugang zu einem undefinierbaren Geheimnis hat, sondern diesem Geheimnis auch einen Namen gibt: Gott, JHWH. Der, der für sein Volk da ist und es rettet. Mose vermittelt zur Sphäre des Heiligen. Durch Mose handelt Gott selbst. Eigentlich ist also Gott es, der sein Volk durch Mose vor den Schlangen rettet. Die Gefahr, in die er die Israeliten als Prüfung hineingeführt hat, beseitigt Gott, indem er den Mose als sein Werkzeug bestimmt.
Man sollte meinen, dass diese Kupferschlange als Hinweis auf die Gegenwart und das Heilshandeln Gottes über alle Generationen hinweg von den Israeliten heilig gehalten werden sollte. Aber nein: der fromme, vorbildliche König Hiskija, zerstört die Kupferschlange des Mose und wird dafür in der Bibel ausdrücklich gelobt. Nicht nur dafür, dass er die heidnischen Götzenbilder vernichtet und sich von der kulturellen Dominanz der Assyrer lossagte, erfährt er Anerkennung, sondern auch dafür, dass er zerschlägt, was Mose im Auftrag Gottes angefertigt hatte.
II
Was sagt uns das? Zum einen, dass das biblische Gottesbild nicht von einem billigen Kulturchauvinismus geprägt ist, wie er heutzutage manchmal in unseren Kirchen herrscht: unser Gott ist viel besser, größer, toller aus eurer (der Gott der Muslime, der Hindus, oder der Gott der Juden). Als ob es überhaupt verschiedene Götter geben könnte! Genau dafür steht die Bibel nämlich zum zweiten ein: Gott ist einzig, es gibt ihn nicht in verschiedener Ausfertigung, sondern nur einmal und für alle Menschen. Um diesen Gott, seine heilende Zuwendung, seine Sorge und Liebe zu spüren, braucht es keine Bilder, keine Kultgegenstände oder Rituale. Auch die Schlange des Mose ist daher eigentlich nur ein Surrogat. Ursprünglich trat sie als Hilfe für die mutlos gewordenen Israeliten an die Stelle der inneren Beziehung der Menschen zu Gott, an die Stelle eines ohne Zauber und Magie vertrauenden Glaubens. Menschen, die im Glauben erwachsen werden wollen, müssen sich von solchen Surrogaten lösen. Ob man einen Pfarrer, der Rosenkränze und Heiligenbildchen verbrennt, Opferkerzen auf den Müll wirft und Reliquienschreine zerschlägt, heutzutage wohl auch loben würde? Wohl kaum. Und doch würde er nur das Gleiche tun, wie einst der fromme König Hiskija: zeigen, dass es für die Nähe Gottes keiner Vermittlung durch Zeichen, Bilder oder andere Gegenstände bedarf.
Interessant, dass bei Indiana Jones am Ende jeder Geschichte auch immer so etwas Ähnliches passiert: »Indy« rettet die Welt, indem er die Gegenstände, nach denen er so rastlos und unerschrocken auf der Suche war, zerstört oder sie zumindest jedem Zugriff entzieht. Und das gelingt ihm, indem er jedes Mal eine entscheidende Probe besteht, die zeigt, dass er – im Gegensatz zu den anderen Schatzjägern – keine unlauteren Absichten hat, nicht nach Macht verlangt, seine persönlichen Ziele und Wünsche hintan stellen kann. Auch wenn er ein Casanova, Trickser und manchmal ein kleiner Gauner ist, so ist er im Grunde seines Herzens doch lauter und voller Vertrauen auf das Gute in den Menschen.
Für alle gilt das Gleiche: für Indiana Jones, für Mose, für mich. Es kommt nicht darauf an, sich den Zugang zu Gott durch viele Gebete, besondere Riten oder die Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Auserwählten zu erschleichen. Alle Krücken, die vorgeben, sie würden mir helfen, mich langsam und mühevoll in die Nähe Gottes hinzuschleppen, sind überflüssig. Ich kann sie wegschmeißen, zerstören oder einfach kaputt gehen lassen. Es passiert nichts Schlimmes dabei, im Gegenteil: Ich werde frei, Gott mit dem Herzen zu suchen und ich kann dabei erfahren, dass ich einfach so zu ihm hingehen kann, ohne Kupferschlange. Er beißt mich nicht, wenn ich mich ihm anvertraue, ihm mein Herz ausschütte. Er hilft mir, wenn ich seine Hilfe brauche. Er ist mir nahe, wenn ich mich allein fühle. Er ist da – jetzt. Für mich, für uns.
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