Melan­cho­lie und Zärtlichkeit

Melan­cho­lie ist eine beson­de­re Form der Zärt­lich­keit. Melan­cho­lisch sein bedeu­tet, sich berüh­ren zu las­sen, von dem, was um einen her­um geschieht. Das hat nichts mit gewöhn­li­cher Trau­rig­keit zu tun, ähnelt die­ser viel­mehr nur äußer­lich. Melan­cho­li­ker gehen nicht über das hin­weg, was ihnen wider­fährt, haken es nicht ab, abs­tra­hie­ren nicht, ord­nen nicht ein (im Sin­ne von »etwas in eine Abla­ge tun«), son­dern neh­men wahr mit mög­lichst hoher Emp­find­sam­keit und einem Sinn für die fei­nen Valeurs. Die­se Art von Emp­find­sam­keit ist sowohl ein Ver­mö­gen der Ver­nunft (viel­leicht pri­mär zunächst ein kogni­ti­ves Ver­mö­gen, das aber ver­mit­tels der Kogni­ti­on auch die ande­ren Dimen­sio­nen der Ver­nunft erfasst) wie der Sinnlichkeit.

Melan­cho­lie hat mit Wert­schät­zung und mit Dank­bar­keit zu tun: ich bin dank­bar dafür, dass die Wirk­lich­keit so reich und viel­fäl­tig und dif­fe­ren­ziert ist und ich freue mich dar­an. Der Melan­cho­li­ker ist also pri­mär nicht trau­rig. Er ist berührt von der Ver­gäng­lich­keit, ins­be­son­de­re davon, dass das Schö­ne ver­gäng­lich ist. Selbst ein Son­nen­auf­gang, der in sich nicht all­zu viel Tra­gik ent­hält, dau­ert nur eine Wei­le und ist dann vor­bei. Umso mehr jenes Schö­ne und Gute, das an end­li­che Wesen gebun­den ist. So bringt das melan­cho­li­sche Gespür für den ob sei­ner End­lich­keit gera­de unend­li­chen Wert der ver­gäng­li­chen Din­ge und Wesen auch eine ganz eige­ne Form von Trau­rig­keit mit sich. Die­se ist es, die von Unein­ge­weih­ten und ober­fläch­lich Den­ken­den für etwas Depres­si­ves gehal­ten wird. Die melan­cho­li­sche Trau­rig­keit trägt aber kei­ne Ver­zweif­lung in sich, im Gegen­teil beinhal­tet sie sogar eine stil­le Freu­de, weil gera­de das trau­ri­ge Berührtsein vom End­li­chen auch ein Bewusst­sein von des­sen Wert ver­mit­telt und somit eine ganz eige­ne Wei­se des Genus­ses ermöglicht.

Bild: Edvard Munch, Melan­cho­lie, Kunst­mu­se­um Bergen

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