Über­all in Deutsch­land und auf der Welt: Star­ke und Schwache

Die »Stärkere[n] [brau­chen] nicht auf die Schwä­che­ren zu ach­ten«. End­lich haben wir ein neu­es Gebot bekom­men, das bes­ser zu unse­rer Gesell­schaft passt als die längst ver­al­te­ten Zehn Gebo­te der Bibel. Geschenkt hat uns die­se ethi­sche Wei­sung der Geschäfts­füh­rer der Gemein­de Wen­zen­bach (bei Regens­burg). Was war gesche­hen? Eine Dozen­tin der Hoch­schu­le Regens­burg fährt, soweit es das Wet­ter zulässt, regel­mä­ßig mit dem Rad von ihrem Wohn­ort im nörd­li­chen Regens­bur­ger Hin­ter­land zu ihrem Arbeits­platz an der Hoch­schu­le. Dabei pas­siert sie eine Kreu­zung, die ihr wegen einer unüber­sicht­li­chen Hecke und eines nicht beson­ders gut wahr­nehm­ba­ren »Vor­fahrt gewäh­ren«- Schil­des als gefähr­lich für Rad­fah­rer, beson­ders für Schul­kin­der erscheint. In einer Mail an die Gemein­de Wen­zen­bach, auf deren Gebiet die Kreu­zung liegt, schil­dert sie eine brenz­li­ge Situa­ti­on, in die sie bei­na­he gera­ten wäre. Wohl­ge­merkt ist nichts pas­siert, sie hat gera­de noch recht­zei­tig reagiert, sich also rich­tig ver­hal­ten. Schul­kin­dern aber traut sie die­se Auf­merk­sam­keit nicht zu und erläu­tert ent­spre­chend ihre Besorgnis.

Der Ver­tre­ter der Gemein­de hat dafür kein Ver­ständ­nis, fühlt sich viel­mehr durch die unbot­mä­ßi­ge Rad­fah­re­rin pro­vo­ziert und ant­wor­tet barsch: »Für die Auto­fah­rer braucht es auch kei­ne Hin­wei­se, dass ein Rad­weg kreuzt; denn die haben Vor­fahrt und brau­chen des­halb als Stär­ke­re nicht auf die Schwä­che­ren zu ach­ten. Das ist nicht nur in ganz Deutsch­land so, son­dern welt­weit!« Ja, lei­der wird es mitt­ler­wei­le über ganz Deutsch­land hin­aus zur schlech­ten Gewohn­heit, dass die Stär­ke­ren glau­ben, auf die Schwä­che­ren kei­ne Rück­sicht neh­men zu müs­sen. Über­all in unse­rem eige­nen Lebens­um­feld und in viel­fa­chen gesell­schaft­li­chen Ent­wick­lun­gen kön­nen wir das beob­ach­ten. Eine nur mehr ober­fläch­lich kaschier­te Form von Sozi­al­dar­wi­nis­mus ist auf dem Vor­marsch. Der Tenor: die Schwa­chen sind selbst schuld. Schwä­che ist ein Makel, für den man kei­ne Hil­fe und Unter­stüt­zung ver­dient. Krank­heit, gerin­ge­re Leis­tungs­fä­hig­keit auf­grund irgend­ei­nes Han­di­caps, Arbeits­lo­sig­keit oder auch nur Ver­ständ­nis für die von die­sen Ein­schrän­kun­gen Betrof­fe­nen wer­den der gesell­schaft­li­chen Ver­ach­tung und der Arro­ganz der Sie­ger preis­ge­ge­ben. Allen­falls deren Gna­de und Her­ab­las­sung fällt für die Schwa­chen noch ab.

Wäh­rend wir die­se Aus­gren­zung bis­lang haupt­säch­lich über finan­zi­el­le Schi­ka­nen – Kür­zung der Sozi­al­leis­tun­gen, Benach­tei­li­gung in der Gesund­heits­vor­sor­ge und am Arbeits­markt, Strei­chung von För­der­maß­nah­men etc. – prak­ti­zie­ren, hat die Gemein­de Wen­zen­bach offen­sicht­lich eine über­zeu­gen­de­re Lösung gefun­den: wir kön­nen die Schwä­che­ren auch ein­fach über­fah­ren. Das spart uns vie­le lang­wie­ri­ge Debat­ten und macht buch­stäb­lich den Weg frei für die wich­ti­gen, die star­ken Menschen.