Hei­li­ger Ernst?

Jes 6,1–2a.3–8

I

Plötz­lich löst sich die Stim­men­ver­wir­rung und – ein fei­er­li­cher Schreck fährt durch die Glie­der – ein­heit­lich, klar und unmiss­ver­ständ­lich hebt es an: qado­sch qado­sch qado­sch elo­him adon­ai zebaoth maleu has­cha­ma­jim wahaa­rez kebo­do (Hei­lig Hei­lig Hei­lig ist Gott, der Herr der Heer­scha­ren! Him­mel und Erde sind sei­ner Herr­lich­keit voll). Ich habe das Sanc­tus Sanc­tus Sanc­tus von den Kar­di­nä­len in St. Peter und das Swi­at Swi­at Swi­at in der Kathe­dra­le des Kreml und das Hagios Hagios Hagios vom Patri­ar­chen in Jeru­sa­lem gehört. In wel­cher Spra­che immer sie erklin­gen, die­se erha­bends­ten Wor­te, die je von Men­schen­lip­pen gekom­men sind, immer grei­fen sie in die tiefs­ten Grün­de der See­le, auf­re­gend und rüh­rend mit mäch­ti­gem Schau­er das Geheim­nis des Über­welt­li­chen, das dort unten schläft.

Rudolf Otto, Das Hei­li­ge [1], S. 13

Der Reli­gi­ons­wis­sen­schaft­ler Rudolf Otto hat in einer Syn­ago­ge in Marok­ko ein mys­ti­sches Erleb­nis, ähn­lich wie es wohl tau­sen­de Jah­re vor ihm der Pro­phet Jesa­ja hat­te. Wie vom Don­ner gerührt waren sie bei­de, der Pro­phet und der Wis­sen­schaft­ler, als sie mit dem »ganz Ande­ren« kon­fron­tiert wur­den, der Gott immer auch ist. Jen­seits aller Vor­stel­lungs- und Denk­mög­lich­kei­ten, die uns Men­schen zugäng­lich sind, nicht zu erfas­sen mit unse­ren Bil­dern und Begrif­fen. Da ver­blasst alle Theo­lo­gie und Wis­sen­schaft, da gibt es nichts mehr zu sagen und zu den­ken, da bleibt nur mehr ehr­fürch­ti­ges Schwei­gen und Stau­nen. Mehr noch: ein »hei­li­ger Ernst« stellt sich ein, ein Schre­cken in der Begeg­nung mit dem leben­di­gen Gott, wie er immer wie­der auch in der Erfah­rung bibli­scher Gestal­ten doku­men­tiert ist: Mose vor dem bren­nen­den Dorn­busch, Jakob im Rin­gen mit Gott am Fluss Jabbok, Eli­ja in der Höh­le beim Vor­über­gang Got­tes. So unaus­denk­bar groß und erha­ben ist der All­mäch­ti­ge – »hei­lig, hei­lig, hei­lig« – dass alles ande­re vor ihm zunich­te wird. Als »mys­te­ri­um fasci­no­sum et tre­men­dum« hat Rudolf Otto daher Gott bezeich­net, als ein Geheim­nis, das anzieht, lockt und fas­zi­niert, das aber auch Schau­der und Schre­cken mit sich bringt.

II

Mit dem Glau­ben ist es also eine erns­te Sache. Und man­cher wird sagen: zurecht. Ist Gott doch kein Wohl­fühl­gott, son­dern einer, der uns vor die Fra­ge stellt, wel­che Bedeu­tung unser Leben hat, ob es schei­tert oder gelingt. Und Got­tes Gebo­te sind kei­ne Optio­nen, die man sich nach Belie­ben aus­su­chen oder die man umdeu­ten könn­te, son­dern sie gel­ten abso­lut. Wo kämen wir denn hin, wenn es gar nichts mehr gäbe, was uns unbe­dingt bin­det und ver­pflich­tet? Wo kämen wir hin in einer Welt, in der nichts mehr gilt und jeder tun kann, was er möch­te? Gott als der »ganz Ande­re«, für uns Men­schen durch und durch Unver­füg­ba­re, setzt unse­rer Macht Gren­zen und ist kri­ti­scher Hori­zont für alle mensch­li­che Machtausübung.

Die­se Sicht­wei­se hat schon eini­ges für sich. Zwei­fel­los suchen wir Men­schen nach einer letz­ten Wahr­heit für unser Leben, zwei­fel­los sind wir aus nach einem Sinn, der nicht von mensch­li­chen und irdi­schen Zufäl­len abhän­gig ist, nach einem Glück, das nicht in mess­ba­ren Leis­tun­gen und Beloh­nun­gen besteht. Aber ewas macht mich auch stut­zig bei die­sem Blick auf Gott und die Welt und das Leben: Es ist – kon­se­quent zu Ende gedacht – ein Blick, der zutiefst freud­los und oben­drein kom­plett humor­los ist; nicht nur ein hei­li­ger, son­dern ein töd­li­cher Ernst. So schau­der­haft groß und erha­ben ist Gott und so macht­voll ist, was er for­dert, dass alles Mensch­li­che dabei buch­stäb­lich zunich­te wird.

III

Wie ein sol­ches Got­tes­bild auch kip­pen kann, zeigt uns Mar­tin Heid­eg­ger, der – tief beein­druckt von dem Begriff des Hei­li­gen, wie Rudolf Otto ihn ent­wi­ckelt hat­te – sich einen Gott wünscht, vor dem der Mensch vor allem opfert und aus Scheu auf die Knie fällt.

Vor die­sem Gott [dem Gott der Phi­lo­so­phen] kann der Mensch weder beten, noch kann er ihm opfern. Vor der cau­sa sui kann der Mensch weder aus Scheu ins Knie fal­len, noch kann er vor die­sem Gott musi­zie­ren und tanzen.

Mar­tin Heid­eg­ger, Iden­ti­tät und Dif­fe­renz [2], S. 64

Das aber ist ein Got­tes­bild, das mei­ne Auto­no­mie als Mensch außer Kraft setzt. Mit die­sem Gott kann ich nicht mehr spre­chen, geschwei­ge denn ihn kri­tisch befra­gen oder mit ihm strei­ten. Von solch einer Erha­ben­heit wer­de ich buch­stäb­lich geplät­tet und auf ein win­zi­ges Pünkt­chen redu­ziert. Wie fatal das sein kann, erle­ben wir, wenn die Kir­che als Insti­tu­ti­on oder bestimm­te Gemein­schaf­ten inner­halb der Kir­che sich solch ein Got­tes­bild zu eigen machen, um ande­re Men­schen damit zu beherrschen.

Dann zeigt sich, dass gera­de dann, wenn wir Ehr­furcht vor Gott und sei­ner Erha­ben­heit emp­fin­den, uns eine fol­gen­schwe­re Ver­wechs­lung unter­lau­fen kann. Wir seh­nen uns nach dem »ganz Ande­ren«, aber es ist nur unser eige­nes Erschau­ern, das wir ver­spü­ren; unser Berauscht­sein von etwas unaus­denk­bar Gro­ßem und Mäch­ti­gem – also letzt­lich eine Projektion.

Wir soll­ten daher beden­ken: unse­re Sehn­sucht nach dem Abso­lu­ten ist noch nicht das Abso­lu­te selbst. Unser Suche nach einer letz­ten Wahr­heit ist eben Suche, nicht schon die Wahr­heit an sich. Über Gott gibt es noch etwas ande­res zu sagen, als dass er hei­lig und erha­ben ist. Gott ist auch der immer Neue, er hat eine Welt gemacht, die nicht fer­tig ist und er hat uns als sei­ne Geschöp­fe in die­se Welt gestellt mit dem Auf­trag, unse­ren Platz zu suchen und unser Leben nach einem offe­nen Plan zu gestal­ten. Er hat uns kei­ne Kar­te in die Hand gege­ben, hat nicht in Stein gemei­ßelt, wie die Schöp­fung am Ende aus­se­hen wird. Er hat die Zukunft, die Voll­endung offen gelas­sen, ver­bor­gen. Dar­um ist unser mensch­li­cher Lebens­raum ein Zwi­schen­raum: ein Raum zwi­schen Ver­su­chen und Theo­rien und Expe­ri­men­ten, ein Raum, in dem wir nicht über alles Bescheid wis­sen und es aus­hal­ten müs­sen, dass mor­gen alles schon ganz anders sein könn­te; ein Raum, der nur die eine Sicher­heit bie­tet, dass Gott uns in ihn hin­ein­ge­stellt hat und uns ins Offe­ne sen­det, ja viel­leicht, dass Gott selbst die­ser Raum der offe­nen Mög­lich­kei­ten ist. Unse­re Erkennt­nis ist nie abge­schlos­sen ist und es macht Lust, immer wei­ter zu den­ken und tie­fer zu for­schen. Dar­aus ergibt sich die Ein­sicht, dass alles, was wir tun, nur vor­läu­fig ist und dass es oft bes­ser ist, unvoll­kom­men zu han­deln als gar nicht. Ist es nicht auch wohl­tu­end und ent­las­tend, nicht alles zu wis­sen, nicht schon von vorn­her­ein fest­ge­legt zu sein in einem Welt- und Got­tes­bild, das zwar erha­ben ist, aber auch starr?

Der Pro­phet Jesa­ja hat übri­gens genau das erfah­ren: Gott löst ihn aus der Star­re erha­be­ner Ehr­furcht und schickt in hin­aus in die Welt. Nur das sagt er zu ihm: Geh, ich sen­de dich. Ich gebe dir nicht mit, was du sagen sollst, ich gebe dir kei­ne Garan­tie, dass du gehört und ver­stan­den wirst. Du wirst ins Unkla­re, Zwie­späl­ti­ge, Gefähr­li­che gehen, in ein unsi­che­res, aber eben auch nicht fest­ge­leg­tes Leben, eines, das dich über­ra­schen, beglü­cken, fröh­lich machen wird. Du wirst lachen kön­nen, dich mit ande­ren freu­en, wirst dank­bar sein, wenn dir etwas gelingt und musst den Mut nicht sin­ken las­sen, wenn du scheiterst.

Damit gibt Gott dem Jesa­ja sei­ne Auto­no­mie zurück. Er legt ihm eine glü­hen­de Koh­le auf die Zun­ge, will sagen: Die Glut der Gegen­wart Got­tes gibt jedem und jeder die Mög­lich­keit, eige­ne, nicht fremd­be­stimm­te Wor­te zu fin­den. Jesa­ja wird klar, dass sein pro­phe­ti­scher Auf­trag genau dar­in liegt, als unvoll­kom­me­ner Mensch allein mit sei­nem Gewis­sen und sei­ner Auto­no­mie nach den Spu­ren Got­tes in unse­rer Welt zu suchen – und die­se Spu­ren für ande­re offen zu legen. Lus­tig im ober­fläch­li­chen Sin­ne ist das nicht immer. Aber schön und ver­lo­ckend ganz sicher.

Anmer­kun­gen

[1] Otto, Rudolf: Das Hei­li­ge: Über das Irra­tio­na­le in der Idee des Gött­li­chen und sein Ver­hält­nis zum Ratio­na­len. Mün­chen : C.H.Beck, 2004—ISBN 3406510914

[2] Heid­eg­ger, Mar­tin ; Bei­er­wal­tes, W. (Hrsg.): Iden­ti­tät und Dif­fe­renz, Klos­ter­mann Rote­Rei­he. 2. Aufl. Frank­furt am Main : Vitto­rio Klos­ter­mann, 2011—ISBN 9783465041283

Bild: Syn­ago­ge in Casa­blan­ca, © leospek /​ Ado­be Stock

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Der Regenpfeifer heißt mit bürgerlichem Namen Hermann Josef Eckl und lebt in Regensburg. Auf seiner Pinnwand können Sie Ihr Feedback hinterlassen. Hier finden Sie seine aktuelle Lektüre. Hören können Sie ihn in einigen Podcasts. Noch mehr über ihn erfahren Sie hier.

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