Auch nach so langen Jahren der Beschäftigung mit dem monistischen Denken gelingen mir überraschende Entdeckungen: Ich will vor dem Schlafengehen noch kurz nach den Rezensionen der aktuellen Klassik-Neuerscheinungen bei »Rondo« schauen, interessiere mich für eine Aufnahme mit der mir bislang unbekannten Pianistin Linda Leine, komme davon ausgehend irgendwie zu Schuberts Fantasie in f‑moll, D. 940, fange an, diverse Einspielungen zu vergleichen, höre u.a. in eine Aufnahme mit Paul Badura-Skoda und Jörg Demus hinein und will dann nur noch kurz etwas über Demus erfahren, dessen Name und Interpretationen mir durchaus ein Begriff waren, über dessen Biografie ich aber noch gar nichts wusste.
Ich muss den Umweg über Demus’ Vater Otto Demus gehen, um darauf zu stoßen, dass der Pianist einen Bruder hat: Klaus Demus. Sofort denke ich an Celans Gedicht »Die Krüge«! Unzählige Male schon habe ich die Widmung gelesen: »Für Klaus Demus«, aber es war mir nie in den Sinn gekommen, zu recherchieren, wer dieser Klaus Demus denn sei. Selbst ein Blick in den Kommentar der einbändigen Suhrkamp-Ausgabe von Celans Gedichten hätte aber wohl meine Neugier nicht geweckt. Denn dort wird er lediglich als »Kunstwissenschaftler« bezeichnet. Tatsächlich aber ist Klaus Demus auch als Verfasser pantheistischer Naturlyrik hervorgetreten, mit einem recht umfangreichen Werk, das von 1958 bis beinahe in die unmittelbare Gegenwart reicht. Die schmalen Bändchen tragen so verheißungsvolle Namen wie »Das ungemeine Fünkeln des Hen Kai Pan« oder »Allgesang«.
In der Literaturwissenschaft ist Demus kaum ein Thema, immerhin aber gibt es eine Porträtbüste von ihm im Belvedere. Die Frankfurter Anthologie stellt eines seiner Gedichte vor. Und der »Standard« bringt einen Beitrag über die lebenslange Freundschaft zwischen Demus und Celan. Kurz darauf berichtet Demus selbst darüber in einem etwas abseitigen Wiener Literaturblog. Aus der – schon älteren – Biographie Felstiners geht hervor, dass diese Freundschaft wohl wirklich sehr wichtig für Celan war. Auch der publizierte Briefwechsel zwischen Celan und Demus sowie dessen Frau Nani zeugt davon. Ende der 40er Jahre hatten Demus und Celan sich kennengelernt, offenbar in Wien, vermittelt von Ingeborg Bachmann; 1949/50 studierte Demus dann in Paris, wohin Celan zwischenzeitlich übersiedelt war.
Celan sah Demus als Dichter, später schickte er Heidegger einige von Demus’ Gedichten. Was diese wirklich taugen, wird sich zeigen: ich habe mir zwei Bände antiquarisch bestellt. Ein erster Blick in eine Leseprobe, bei »Sinn und Form«, wo Demus immerhin auch publiziert hat, wirkt auf mich eher schwierig. Aber wer weiß, was es da noch weiter zu entdecken gibt?
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